Untergehen ist das Eine, unter der Oberfläche bleiben das Andere. ;-)

Mittwoch, 5. Mai 2010

Die Kraft der zwei Stellen Teil 2

Sag mal: Weißt du, wie so ein Paßwort aussieht? Ja, das habe ich mir schon gedacht, daß es da verschiedene gibt. Sonst macht das ja auch keinen Sinn. Irgendwo habe ich mir das auch aufgeschrieben. Aber wo? Ach, mir fällt das schon wieder ein. So alt bin ich nun auch noch nicht, daß ich mir nichts mehr merken kann.

Um die Zeitung mußt du dir auch keinen Kopf machen. Die Artikel übernehmen wir vom ›Ost-Erzgebirgsexpress‹. Mit dem Horsti habe ich geredet, der hat nichts dagegen. Er meint, wenn er schon auf deutsch nicht gelesen wird, so werden seine Ergüsse in Mundart geschrieben, wenigstens angeguckt. Lesen kann man den Mundarttext eh nicht wirklich, aber das ist ja auch nicht Sinn und Zweck unserer Zeitung.
Die geben wir ja nur heraus, damit du die Karteikarten abtippen kannst und hier ein schicker Computer steht. Zum repräsentieren. Was sollen denn die Fernsehleute von uns denken, wenn die hier nur Karteikarten sehen? Aber wie gesagt: Das erzähl ich dir später. Das wäre jetzt etwas zu viel für dich.

Du guckst schon wieder so komisch? Als hättest du Heimweh!
Du wirst dich schon schnell hier eingewöhnen. Nächste Woche hast du dich hier eingelebt und du bekommst deine Inventarnummer von mir feierlich überreicht.

So, der Kaffee ist durch. Gib mir mal deine Tasse!

Mundart ist nämlich eine Art Deutsch, was keiner versteht und eigentlich auch keiner mehr spricht. Deswegen wollen wir sie ja pflegen und erhalten. Im Tal konnte eigentlich nur noch der alte Holzmichel im Originaldialekt palavern. Wenn der einen Urania-Heimatabend im ›Kahlschlag‹ abgehalten hat, war die Kneipe voll. Da ist kein Tourist an der Abendkasse mehr reingekommen, weil der Schorschi die Karten unter der Hand losgeworden ist.
Was wurde da gemauschelt, um an so eine Karte zu kommen! Das waren Zeiten! Eine Stimmung war da im ›Kahlschlag‹! Was haben wir gelacht! Der Schorschi ist mit dem Bierzapfen gar nicht mehr hinterhergekommen und hat dann nur noch Flaschenbier verkauft, weil das schneller geht.

Du mußt dir vorstellen: Da sitzt so ein halber Festmeter Waldgnom in der Ecke und erzählt und erzählt über die Heimat und deren Geschichte. Dabei springt der ab und zu mal wild gestikulierend auf, aber du verstehst kein einziges Wort! Nicht ein einziges! Dabei klingt das einfach nur zum Schreien! Die Leute haben getobt vor Lachen! War das schön!

Vorbei! Der alte Holzmichel ist nun auch schon lange tot und im Tal hat sich doch, seit dem Krieg wie in der ganzen Republik, als Dialekt das Parteichinesisch breit gemacht, was ja auf dem Hochdeutschen basiert. So konnten sich die Erzgebirgler Arbeiter und Bauern, auch mal im FdGB-Urlaub, mit den Fischköppen unterhalten. Die sprechen ja kein Platt mehr, sondern das ›Klock-acht-Achtern-Strom‹ Deutsch des DDR-Fernsehens.
Weißt du noch? Der Horst Köppert mit dem: ›Auf Wiedersehen in Rostock! In Rostock in der Hafenbar!‹ Die Bar wo der Kuddeldaddeldu rumgeisterte?
Mit dem ›Oberhofer Bauernmarkt‹ konnten wir Sachsen und Thüringer da locker gegenhalten. Wobei der Herbert Roth da nicht mitgezogen hat. Den kennst du doch auch noch. Den Volksmusikbarden? Die Thüringer Antwort auf Elvis Presley?
Kein einziges Lied hat der in Mundart verfaßt, nur in Hochdeutsch hat der gedichtet. Was hatten die Amis für einen Schiß vor dem Herbert! Nicht ein einziges mal haben die dem im Radio gesendet. Der hätte locker alle Charts und den Elvis plattgemacht.

Der Herbert Roth hat nur in Hochdeutsch getextet, weil er mit dem Gebrauch der Mundart ein Problem hatte, das uns zu gute kommt. Es gibt nämlich keinen einheitlichen Dialekt und vor allem keine gemeinsame Schreibweise. Hier macht doch jedes Tal schon immer was es will, also quatschen die auch alle durcheinander.
Für was für einen Sprachgebrauch hätte sich denn der Herbert entscheiden sollen? Ohne irgendeinen Hinterwäldler auf den Schlips zu treten? Es gibt nun mal keinen Duden für diesen Sprachsalat hier! So können wir in der Zeitung schreiben wie wir wollen. Da machen wir uns eben unsere eigenen Rechtschreibung und können uns beide dann darauf einigen, ob wir Tier oder Dier nehmen, wenn wir eine Tür meinen. Ist das nicht herrlich! Man kann einfach nichts falsch machen beim Mundart schreiben!

Der neue Vereinsheini wollte zwar einen einheitlichen Leitfaden für den ganzen Erzgebirger Sprachgebrauch erarbeiten, aber das habe ich dem schnell wieder ausgeredet. Das steht zwar noch in der Zielstellung des Vereins zur Mundartpflege, damit der Fördertopf zufrieden ist, aber es wird vereinsintern nicht mehr angestrebt.
Mensch, das gibt doch hier einen Bürgerkrieg, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. Zänkisch und streitbar wie die Eingeborenen hier sind, kämpfen die doch über jede Schreibweise bis auf das Messer! Um jeden Buchstaben jedes Wortes.

Da springt doch der alte Holzmichel aus der Grube, wenn der erfährt, daß jemand an seiner Sprache rumdoktort.

Wenn der noch leben würde, wäre das alles kein Problem. So als legendäres Ur- oder besser Erzgestein vom ganzen Gebirge, hätte der genug Autorität um den Leitfaden durchzudrücken.
Der war doch nicht nur in jedem Tal des Erzgebirges zu Hause, sondern hat auch in jedem Tal mindestens zwei Kinder und 6 Enkel. Da würde sich keiner dagegen zucken. Aber so?

Da fällt mir ein: Wenn wir nun einen spektakulären Fund machen? Auf dem Dachboden des Museums?
Des alten Holzmichels Testament? Mit der genauen Darlegung und Übersetzung des Erzgebirgischen in das Hochdeutsche?
Natürlich getürkt von uns. Wir leisten die Vorarbeit, übersetzen und wenn wir das Wörterbuch fertig haben, schalte ich den alten Gustl ein. Der kann noch richtig Sütterlin schreiben wie der alte Holzmichel. Der schreibt dann unser Machwerk auf altes vergammeltes Papier und wir finden das dann hier im Rahmen unserer ABM. Das brummt in den Medien! Die Schmierfinken posaunen doch immer aus, daß so eine ABM-Maßnahme wie unsere völlig sinnlos ist und nur Geld kostet!

Neee, mit dem Fund schreiben wir Heimatgeschichte! Das wird den Fördertopf und die Arbeitsanstalt freuen! Wir haben dann was bewegt! Heute ist Montag, also Vorstandssitzung. Wie jeden Montag. Da sich der Verein der Taditionspflege verschrieben hat, und die Partei Montags ihre Versammlungen abhielt, haben sie den Termin beibehalten. Da treffe ich den Gunnar, also den Neuen.
Der wird sich freuen über unsere Idee! Der sagt immer: Die Mühle muß immer in aller Munde sein! Immer! Egal wie! Dadurch wird die eine Instanz und unantastbar! Damit meint er natürlich sich.

Das getürkte Holzmicheltestament paßt dem doch völlig in den Kram. Eine Sprachrevolution, die das Museum losgetreten hat. Das Volk folgt andächtig, weil es des Holzmichels letzter Wille ist, ein paar Sprachforscher haben schon immer gewußt, daß so die reine erzgebirgische Mundart gesprochen wird und überall steht sein Name als Sprecher des Museums darunter. Wenn es dann heraus kommt, das alles nur Mumpitz ist: Um so besser. Dann steht er als Märtyrer da, weil ihm jedes Mittel recht war um das Museum zu retten. Das nennt man Pablig reläschen* und sein Ruhm schnippst in die Wolken.

Uns rennen sie sowieso schon die Bude ein, weil sie das Testament sehen wollen. Das wurde hinter Panzerglas verbannt und wir verdienen uns unsere Brötchen damit, daß wir den Touristen erzählen, wie wir es gefunden haben. Die ganzen merkwürdigen Umstände, die nur einen Schluß zu lassen: Daß der Geist vom alten Holzmichel uns zu dem Versteck geführt hat. Das lag ja nicht einfach so herum. Klar, ab sofort spukt da oben der Holzmichel auch mit herum! Mit dem Spanziehmüller verbindet den eben eine alte Fehde, die sie nun in der Geisterwelt weiter austragen.

Mensch da raucht mir der Kopf! Da wird der Gunnar mit dem Horsti und dem Karli, beim Schorchi im Kahlschlag, ganz schön dichten müssen, um eine plausible Legende zu basteln. Es gibt ja auch andere Täler und alle haben sie ein Heimatmuseum. Da wird uns Neid und Mißgunst entgegenschlagen. Dort sitzen nur Zweifler und Nörgler, die um ihren Anteil an der Fördertorte bangen.
Aber der Gunnar hat die Bande schon im Griff. Was gab es damals für ein Remmidemmi, als daß mit unserem Barkas ruchbar wurde! Und? Jetzt steht er unten! Das Schmuckstück!

Vor den Parapsychos, die dann anrücken werden, um den Spuk zu ergründen, brauchen wir gar keine Angst haben. Da kriegst du einen alten Bettbezug umgehangen und du hüpfst nachts ein wenig auf dem Boden herum. Dabei klingst du wie ein Mühlrad und geiferst etwas auf Mundart.
Nein, das war ein Scherz.
Die finden da oben nichts außer verstaubtes Gerümpel und unser geheimnisvolles Versteck. Wenn wir Glück haben, gibt es ein paar Abnormalitäten im Erdmagnetfeld, aber das war es dann auch schon. Wenn sie nichts finden, nicht mal den Spuk selber, müssen sie notgedrungen an etwas unerklärliches glauben. Somit wäre dann der Spuk bewiesen. Jede Religion funktioniert nach diesem Prinzip.

Da kommt mir eine Idee: Ob wir hier nicht eine Pilgerstätte einrichten? Die wundersame Heilkraft des Mühlteichwassers? Guck mal rüber auf die Ofenbank. Da liegt der Tommy, der Mühlenkater. Mit dem stimmt was nicht. Das Vieh ist uralt aber fit wie eine Blendgranate. Wenn die Talmiezen röllig werden, springt der wie ein junger Hirsch.

Was denn nun? Soll ich die Wände blau anstreichen? Damit du hier weniger auffällst?

*Pablig reläschen: Public Relation
Fortsetzung folgt

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