Untergehen ist das Eine, unter der Oberfläche bleiben das Andere. ;-)

Mittwoch, 29. Juni 2011

98,6° Fahrenheit – Zeit für Unfug




Erstmal das längst überfällige Vidscho vom Wellenhuhn. Schnegge verhält sich darauf, wie eine normale Frau. Die tut nur schüchtern, hat aber Blut geleckt und bleibt bei mir. Die haut einfach nicht ab. Keine Chance. Der guten Frau gewähre ich den lieben, langen Tag Freiflug, wie es sich gehört. Den lieben langen Tag, auch Nachts, halte ich die Fenster für Paradiesvögel offen. Sie könnte also, wenn sie denn wollte, sang- und klanglos verschwinden, wie es sich auch gehört und sich eventuell einer Katze hingeben. Genug davon lungern ja im Garten herum. Aber die Kirsche denkt gar nicht daran und hält stur die Stellung. Mistvieh.


Von meinem Profi-Einkäufer gibts nix neues. Wie gehabt – eine Hand an der Kippe, die andere am Steuer, beobachtet er aufmerksam den Verkehr. Nur der Fußgängerüberweg ist ein anderer. Der Knabe könnte übrigens mit seiner Barttracht in jedem kaiserlich-österreich-ungarischen Film mitspielen. Als Kaiser persönlich oder als sein Hauptoberförster. Herrlich dieser Anblick. Da buddeln die Archäologen wie die Blöden nach Fossilien, dabei laufen die hier in DD-Cotta über die Straße. Wenn der – sagen wir jeden Morgen 9.00 Uhr – die Straße quert, könnte man eine Touristenattraktion daraus machen und Reisegruppen herlotsen. Oder wir gießen den Knaben in Bronze und verkaufen das Denkmal dem Edeka. Da ist noch alles offen.


Mein Wackelaugenkaktus hält seine Jahresruhe. Vor Ostern 2012 macht der die Augen nicht wieder auf. Um diese Jahreszeit wird er nur heilig. Er blüht still vor sich hin und lockt Bienchen an. Das erinnert mich irgendwie an was.


Genau. Nein, nicht direkt an verlassene Kinderwagen, aber so ungefähr. Vorher. Ach egal. Jedenfalls müssen die Eltern des Kindes, dem dieser Wagen gehört, einen mächtigen Treffer weg gehabt haben. Oder die waren auf der Flucht. K. A. Hoffentlich haben sie ihr Kind nicht auch irgendwo vergessen. Im Lidl womöglich. Das wäre hart für das Kleine, denn Sonntags macht der Laden zu.


Wenn das Haus in dem ich wohne mal zusammenfällt oder aus anderen Gründen unbewohnbar wird, habe ich schon eine Alternative gefunden. Bei dem Klingelschild brauche ich mir die Wohnungen gar nicht erst angucken. Das paßt schon. *g*


Das war glaube ich zum Kirchentag. Ein schönes Bild. Mit ihren Kuscheltieren bewaffnet, könnte man meinen, die sind beim Bund oder nach Wacken unterwegs. Oder beides.


Der fährt nicht nach Wacken sondern wahrscheinlich auf eine LPG im Osten. Zumindest muß der Fahrer dieses LKWs Landmaschinen- und Traktorenschlosser in der DDR gelernt haben. Den ihr Ersatzteillager in der MTS bestand ja nur aus einer Rolle Draht. Allerdings war das damals nur Weidedraht. Wenn die alle war, war auch die Ernte vorbei. Im Winter hatten sie dann genug Zeit, um sich neue Motoren zu feilen.


Gut, die Parole wurde in einem etwas unbekümmerten Deutsch verfaßt, aber der gute Wille ist erkennbar und manchmal reicht eben auch eine kleine, liebgemeinte Geste. Darüber befindet sich die freie, linksautonome Ausleih- und Kopierstation um entsprechende Aktionen musikalisch untermalen zu können. Wie man sieht, wird sie gut genutzt. Was nur Insider wie ich wissen ist, daß sich auf der CD ganz rechts eine modifizierte Form des Stuxnet-Wurms befindet. Man muß ihn nur aktivieren – Username: PENGuin, Paßwort: perfect World – und ihn die IP- oder Webadresse von dem Laden geben, den man lahmlegen möchte. Das Programm wurmt sich dann dort ein und erkennt selbständig, was sich machen läßt. Allerdings sollte man dann seinen eigenen Rechner schleunigst vom Netz trennen. Nach getaner Arbeit will der Wurm wieder nach Hause. Ein Bug, der noch behoben werden muß.


Der Kobold ist gerade dabei den Designpreis 2011 für Kindertelefone abzuräumen. Auf so etwas funktionales und unkonventionelles kommen die Kreativlinge aus der einschlägig bekannten Branche natürlich nicht. Da studieren die Herren und Damen bis zur Profilneurose im Endstadium und was kommt bestenfalls dabei raus? Ein rechteckiges Nichtssag, was der Fernbedienung für die Glotze zum verwechseln ähnlich ist. Was habe ich mit der schon angerufen ... Egal. Des Kobolds Wunderwerk ist prägnant und unverwechselbar. So sollte Industriedesign auch sein.


Hier mußte ich natürlich sofort präzise und überlegt handeln. Der Heini im Erdgeschoß war ersteinmal völlig verdattert, als ich bei ihm Sturm klingelte und ihn davon in Kenntnis setzte, das sich jemand über ihn aus dem Fenster stürzen will. Ich dachte schon, er wäre mit dieser Situation völlig überfordert – immerhin sah der aus wie ein Sozialpädagoge – aber nein, er griff ohne Rückfrage und ähnliche Fisimatenten zum Telefon und alarmierte die Polizei, die Feuerwehr, den Krankenwagen und seine Mutti. Damit sah ich meine Aufgabe als erledigt an und verkrümelte mich. Erstens kann ich kein Blut – mein eigenes – sehen und zweitens hatte ich vergessen, zu Hause das Bügeleisen auszumachen.



Komisch. Jetzt hängen dort im Viertel überall diese Plakate. So ganz unähnlich sieht mir das darauf abgebildete Konterfei nicht. Gut, wenn man bedenkt, daß der Heini mich nur ganz kurz gesehen hat, kann man das Werk als gelungen betrachten. Aber eine öffentliche Danksagung sieht anders aus. Da werde ich wohl sicherheitshalber meine Kreise woanders ziehen, auch wenn ich nie erfahren werde, was der Knabe von mir will.


Was haben wir noch? Ach ja, es stimmt schon: Man sieht sich im Leben immer zweimal. (Ach, du Sch...!!!) Auch wenn die letzte Begegnung fast 40 Jahre her ist. (Dann wäre der Heini schon jenseits jeglichen Erinnerungsvermögens ...) Meine zwei Kuscheltiere haben ihren Weg zu mir zurück gefunden. Freude. Aber wer sein frühkindliches Leid, seinen Schmerz aber auch seine Freude, mit zwei Gesellen aus Hartplaste geteilt hat, der geht, so wie ich, dem Leben vorbereitet und gestählt entgegen. Außen eine eherne, rauhe Schale und innen ein weicher Keks – daß ist das Material aus dem Kämpfer geformt werden. Hartgesottene Naturburschen die ohne ihre Kuscheltiere aus steifen Polyäthylen – ihren Fels in der Brandung – in den Wogen des Lebens hoffnungslos untergehen würden. Ich danke Euch! Ohne Euch wäre wohl nix aus mir geworden.

Mittwoch, 22. Juni 2011

Weil ich böse ehrlich bin


Der mir geneigte Leser möge aufatmen: Unterteilt ist der Text in Kapitel und statt derer 11 hätten es auch locker 35 werden können. *g*

Wo fängt die harte Arbeit an und das Freizeitvergnügen auf? Ist Puzzeln, Sudoku Spielen, kontrolliert Saufen, Joggen oder Häkeln ein Knochenjob oder Spaß pur? Manche prügeln sich im Ring ins Koma, andere in der Kneipe. Ein Anderer verfaßt nach der Frühstückspause Mahnschreiben und nach dem Abendbrot Liebesgedichte. Ein ganz Anderer weiß nichts mit sich anzufangen. Weder auf Arbeit noch zu Hause. Aber er ist entspannt und zufrieden damit. Darf man bei der Arbeit Freude empfinden? Und wenn ja, warum wird sie dann als solche empfunden? Die Grenze zwischen Karoshie und dem Ableben aus glückseliger Altersschwäche ist ebenso fließend, wie jene zwischen Kunst und Krankheit oder die zwischen Genie und Hirntod. Jeder hat sie für sich anders gesteckt und bei jedem ist sie unterschiedlich hoch.

Wenn ich einkaufen gehe, weiß ich auch nicht so recht, ob ich mich in Lebensgefahr begebe oder ob ich mich friedlich entspanne. Es ist für mich wie ein Schlängellauf oder ein Gewaltmarsch entlang dieser Grenze oder wie ein Tanz auf einem Vulkan. Meinem Vulkan. Tief in seinem Inneren lauern meine wachen Sinne und sie verschlingen alles, was meine zehn in Reihe geschalteten Überdruckventile zum Kollabieren bringen könnte. Das klingt seltsam, aber das sind alle gut funktionierende, selbstregulierende Systeme. Meines verhindert, daß meine zart ausbalancierte Seele aus ihrer Mitte kippt, wenn sie, einem Staubsauger für atomaren Restmüll gleich, ihre Umwelt reflektiert. Bis zum Bersten vollgestopft, zerplatzt sie nicht sinnlos im Nichts, sondern kotzt sich ihren Leib auf die Füße oder in das eine oder andere entspannende Machwerk.

Capitulum I

Vor mir watschelt, die Schuhspitzen nach außen gestreckt, ein Homunkulus, vermutlich weiblich, unbestimmten Alters. Ihr Arsch kann nicht von Gott gewollt sein – so viel abgründige Phantasie hat der alte Spaßvogel nicht –, und auch keine aus dem Ruder, aus den Nähten, gelaufene Mutation ist in der Lage, Mutter Naturs Laune derartig zu verderben, damit sie einen Menschen so unmißverständlich benachteiligt. Zwei aus reinem Pudding bestehende Medizinbälle reiben sich unter ihrem Hosenstoff – dort wo Gott einen Po vorgesehen hatte und wo kräftige Männerhände gern prüfend verweilen. Nein, so etwas will man nicht anfassen – niemand, auch keine perverse Sucht, kann einen dazu zwingen –, auch nicht sehen – Augen zu und daran vorbei –, aber man muß es hören. Zwischen ihren Oberschenkeln hat die Luft eine Atempause. Vom Schritt bis zu den Knien hat dieses mißlungene Experiment einer Fortpflanzung keinen Platz für etwas anderes als Hosenstoff vorgesehen. Keine wohlmeinende Hand, von wem oder was auch immer, nicht einmal eine Scheckkarte von einem geschändeten Konto kann man dort versenken. Nur erbarmungslos zusammengepreßter Stoff zerreibt sich zwischen ihren Schenkeln. Selbst 5m hinter ihr höre ich seine Schreie: Pfritsch!, pfratsch!, pfritsch!

Auch wenn Gott seine Fürsorge und Aufsichtspflicht bei der Entstehung dieses Wesens grob fahrlässig vernachlässigt hat, kommt er ihr hier, vor der Kaufhalle doch noch nach. Sie watschelt zu den Einkaufswagen, löst einen aus und verschwindet mit ihm durch den Eingang aus meinem Blickfeld, und er macht, daß sie sich dabei nicht zu mir umschaut.

Capitulum II


Drinnen, direkt hinter dem Eingang, versperren mir zwei abgetakelte Fregatten den Weg. Ihre Einkaufswagen kreuzen sich und bilden ein Bollwerk gegen nachrückende Einkäufer. Diese müssen einen Umweg an den alkoholfreien Getränken vorbei nehmen, um in das Ladeninnere vorrücken zu können. Die Beiden stört das nicht im Geringsten. Sie fühlen sich, als das Wichtigste und Unnahbarste, was es zwischen den beiden Müllhaufen im Himmel und auf Erden gibt, dabei sind es nur zwei Verwaltungsfachangestellte jenseits der Fünfzig, die sich über ihre letzte Gallenoperation und über die Konfirmation der Bäckerstochter unterhalten. Beide haben ärmellose, sackartige, dezent-bunte Gewänder an, die im krassen Gegensatz zu ihrer mehlig-grauen Haut stehen. Auf ihr tummelt sich ein Reigen aus Pigmentstörungen, Hautanomalien und zerquetschter, oder versehentlich von Rasierklingen, beim Ausschaben ihrer Achselhöhlen, geköpfter Pickel. Ihre Unterschenkel tragen einen Drei-Tage-Bart und zwei gleich unförmige, aber unterschiedlich ausladende Körper. Der eine ist ausgetrocknet und ledern, bar jeglichen Unterhautfettgewebes, als wäre er im alten Ägypten mumifiziert worden oder beherberge seitdem Krebs im Endstadium und der andere sieht aus, als hätte er heute schon drei Schwarzwälder Kirschtorten intravenös zu sich genommen. Es sind also zwei ganz normale Frauen im besten Alter, die sich auf der Höhe der Zeit befinden, die mit allen Abwässern gewaschen wurden und denen man nichts vormachen kann. Das sollen zumindest ihre Frisuren und ihre sauteuren Brillen, die sie wie ein Parkverbotsschild tragen, verdeutlichen. Erstere sind auf Fasson geschnitten und ihre knubbeligen Nacken ausrasiert und Zweitere einfach nur lächerlich.

Sie sind so lächerlich, wie ihr vergangenes Leben. In der Schule fing das gutbürgerliche Desaster an. Vorher war es eine frühkindliche Katastrophe. Beide waren aufmerksam, fleißig, strebsam und hoffnungslos überfordert. Statt den Unterrichtsstoff zu kapieren, mußten sie sich darauf beschränken, ihn auswendig zu lernen. Der gute, alte Frontalunterricht machte es ihnen dabei leicht und sie erreichten, zumindest auf dem Papier, ein halbwegs brauchbares Zeugnis, was ihn den Einstieg in den Staatszirkus ermöglichte. Dort wird verwaltet, und verwalten heißt, auf Papierkram zu reagieren, wenn man es als notwendig ansieht. Das kann durchaus schon mal passieren. Aber dafür gibt es Vorschriften, Regelungen und Durchführungsbestimmungen, die eins gemeinsam haben: Es ist auch nur Papierkram und wo was geschrieben steht über das, was es zu regeln gilt, kann man auch auswendig lernen. Wie gehabt also.

Einmal dort am Schreibtisch angekommen, ist man schon am Ziel seiner beruflichen Laufbahn. Da ändert sich nichts mehr. Einzig die Erhöhung der Besoldungsstufe bringt über die Jahre etwas Abwechslung in den Büroalltag. Ja, so hart kann Arbeit sein. Da ist etwas Entspannung immer willkommen.

Die Berg- und Heimatromane im Drei-Groschen-Format lagerten erst unten rechts im Schreibtisch und stapelten sich von da ab nicht nur durch sämtliche Schubladen nach oben, sondern auch durch sämtliche Tische quer durch den belesenen Verwaltungstrakt. Der Gesamtumfang der Schund- und Schmutzliteratur in jeder Behörde würde das Fassungsvermögen jeder Stadtteilbibliothek sprengen, wenn sie diese einlagern müßte und sie dient demselben Zweck. Nur das in den Amtsstuben nicht ausgeliehen, sondern getauscht wird. Wie auf dem Schwarzmarkt. Tausche Aufenthaltsgenehmigung gegen unkomplizierten Sex, wie in Dresden geschehen. Aber soweit würden die zwei Quasseltanten nie gehen. Die tauschen nur ihre Arzt-Liebes-Glück-Heftchen untereinander. Damit sie nicht durcheinander kommen, oder aus Versehen ein Romanchen zweimal lesen, unterschreibt jede auf dem Titelblatt mit ihrem Namenskürzel. Hat ein Heft 25 Krakel zu verzeichnen – soviel wie die Verwaltung Mitarbeiter hat – wird das Heft entsorgt oder im Klöppelkurs, beim Kaffeekränzchen oder in der Nordic-Walking-Riege privat weitergegeben.

Genau diese Heftchen veranlaßten die beiden Unerschrockenen an der Quasselfront nach 10 Jahren Dienst am Volke, also mit ca. 30 Jahren, ihre Sexualität zu entdecken. Das haben sie nach anfänglicher Begeisterung schnell wieder sein gelassen. Für ihre Experimente am lebenden Mann organisierten sie sich zwar zwei Objekte, die rein optisch gut zu ihnen paßten – die alten Bezeichnungen »vierschrötig« und »grobschlächtig« treffen es nicht ganz, daher würde ich sie verharmlosend als »grobgeschlechtlich« bezeichnen, aber dumm fickt nun mal nicht gut und so beschränkten sie es darauf Nachwuchs anzusetzen, ihn auszutragen und die Sache für beendet zu erklären. Inzwischen ist der Nachwuchs aus dem Haus, wohnt in einer Verwaltung und auch die Sexualobjekte sind nicht mehr präsent, weil auf der Flucht oder unter der Erde, so das sie wieder Zeit und Lust auf Sex haben könnten.

Capitulum III

Das Blöde ist nur, daß so ein ungezügelter Sex, wie er ihnen im ZDF bei Rosamunde Pilcher vorgespielt wird, nicht von alleine an ihrer Tür klingelt. Da klingelt nur der diskrete Versand, mit einem sauteuren batteriebetriebenen Spaßteil. Das haut zwar erstmal voll rein, wenn man nichts gewohnt ist, aber so rein mechanischer Sex ist auf die Dauer auch nicht das Wahre. Außerdem löst er das Rätsel um den sagenumwobenen Orgasmus nicht. Das mußten sie aber noch ergründen und so ließen sie sich auf diverse Abenteuer mit erfahrenen Strahle-Rentnern aus der überbetrieblichen Wander- und Kegelgruppe, die einmal wöchentlich das Café Heideglück zum Tanztee frequentieren, ein. Sie waren beseelt von dem Wunsch, wieder oder besser: Überhaupt einmal! verliebt zu sein, wie ein junges Reh durch den dunklen Wald der Lüste zu springen und dabei von einem brünstigen Hirsch gepreßt zu werden.

Was dabei, besonders bei diesen beiden Prachtexemplaren, nur herauskommen kann, erspare ich mir. Ein hochnotpeinliches Kuriosum an stutenbissiger Hormonstörung feinster Auslese vermutlich. Seitdem schreiben sie Desaster so: Ddeessaasstteerr.

Um das eigene Elend zu verdrängen, werden sie nun in ihrer lesefreien Zeit aktiv. Ablenkung heißt die Devise. So schlau sind sie immerhin, daß sie bemerkten, daß ihr allabendliches Shoppen vor dem Fernseher - als Selbstbelohnung - ihnen nur die Bude zumüllt, und daß sie bei der Dosis an Schlaftabletten, die sie sich jeden Abend einwerfen müssen, um ins Bett zu kommen, von Medikamentenmißbrauch schon gar nicht mehr sprechen können.

Ihr Plan heißt Kunst und Kultur genußvoll erleben. Sie besuchen jede Ausstellungseröffnung des örtlichen Kunstvereins, treiben sich auf Premieren jedes Schmierentheaters herum und nehmen jede Buchvorstellung in der Stadtbibliothek zum Anlaß, jedem ahnungslosen Anwesenden mit ihren Kenntnissen über den lokalen Weinanbau auf den Nerv zu fallen. Nach drei erfolgreich überstandenen Weinproben und einem Vortrag über die Geschichte Sachsens und den Trinkgewohnheiten August des Starken fühlen sie sich dafür prädestiniert. Dabei fällt auch niemanden auf, daß der auswendig gelernte Weinkatalog französische Tafelweine beinhaltet und nicht die Krone sächsischer Winzerkunst. In solchen Kreisen pflegt man zwar unbeherrscht zu labern, aber nicht jemand anderem als sich selbst über Gebühr zuzuhören.

Wie auf Kommando verlagern die zwei Weinkennerinnen nun ihren kurzen Schwatz unter Freundinnen vor das Regal mit dem gekelterten Traubensaft. Davor angekommen, werden sie jetzt mindestens 2 Stunden fachsimpeln, aber mir auch den Weg zum Spirituosenlager freigeben.

Capitulum IV

Wenn man in einer Kaufhalle allein sein will, schlage man seine Zelte vor dem Regal mit den harten Sachen auf. Hier zeigt sich keiner öffentlich oder nur gut getarnt. Erfahrene männliche Trinker greifen nur im Vorbeihasten zielsicher ins Schnapsregal und schwupp, ist die Pulle Nordhäuser Doppelkorn zwischen den Bierflaschen im Einkaufswagen verschwunden. Frauen dagegen tarnen sich ab. Die laden erst 20 Flaschen Cola in den Wagen und umkreisen heimlich die Schnapspullen bis keiner guckt. Dann schlagen sie aus der Sonne kommend zu und schnappen sich den Whisky. Den plazieren sie kaum sichtbar neben den Cola Flaschen, so das jeder der genau hinschaut denken muß, daß sie die eine kleine Flasche Alkohol mit den 20 großen Flaschen Cola mischt, bevor sie die, über die Woche verteilt, Abends vor dem Fernseher genießt. Dabei schüttet sie die 20 Cola in den Ausguß und die Pulle Whisky auf Ex in sich hinein.

Ehrliche Trinker haben das nicht nötig. Die wissen, was sie wollen und verfallen nicht in Hektik. Ganz ruhig gehen sie die Sache an und nehmen sich eine ihrer Flaschen aus dem Regal. Es folgt ein kurzer prüfender Blick auf das Etikett, ein kurzer Ruck und der Schraubverschluß ist auf. Sie halten die Nase an die Flasche und inhalieren den Duft des Fusels ein, um sich anschließend einen tiefen Schluck aus ihr zu gönnen. Die Flasche wandert nun in den Wagen und es folgen ihr noch weitere der selben Sorte. Nur selten wird sie zurück in das Regal gestellt oder verschwindet in der Manteltasche. Ehrliche Trinker haben ihren Ehrenkodex, welcher besagt, daß man sich seinen Fusel selbst kauft und ihn nur im einfachen oder im äußersten Notfall klauen darf. Der einfache Notfall tritt ein, wenn die Stütze, das Gehalt, der Lohn oder was auch immer alle ist oder von der Mutti gesperrt wurde. Der äußerste Notfall tritt ein, wenn auch der Späti keinen Kredit mehr gibt.

Eine Ausnahmeregelung scheint für Wladimir Iwanowitsch Mielke zu gelten, wie ich eben überrascht feststellen muß. Der Mann sieht aus, wie unser seliger Geheimdienstchef persönlich. Nach dem GAU in seinem Ministerium versteht sich. Klein und heimtückisch blinzelt er trüb durch seine Brille. Bereit, jeden Eindringling in seine Privatsphäre standrechtlich erschießen zu lassen. Diese befindet sich in seinem Einkaufswagen, den er mit beiden Händen so festhält, daß seine Fingerknöchel weiß hervortreten und sie besteht aus sechs Flaschen Wilthener Weinbrand. Die Ähnlichkeit ist frappierend, aber ich kann mich nicht erinnern, daß Erich Mielke in einer Hausjacke und mit Pantoffeln an den Füßen den Klassenfeind oder dem BFC Dynamo jemals gegenübergetreten ist. Des Rätsels Lösung scheint in der aufgeregten Margot Honecker zu liegen, die eben um die Ecke kurvt.


»Erich!«

Ich schmeiß mich weg.

»Erich! Ich such dich überall! Wo du nur wieder steckst?!«

An der Basis, bei seinen Genossen. Die sechs überlebenden Veteranen aus dem Spanienkampf.

»Mensch komm jetzt! Die Ärztin wartet! Du kannst doch nicht einfach abhauen!«

Kann er doch. Auf leisen, geheimdienstlich erfahrenen Sohlen sozusagen. Weit gekommen ist er nicht. Die Arztpraxis liegt gegenüber auf der anderen Straßenseite. Aber jetzt kommt etwas in Bewegung in den Mann. Sein Kopf schnellt herum, wie beim »Richt euch!«.

»Ich habe gewartet! Wieso nimmt die mich nicht gleich dran?«

Zornesröte steigt in sein Gesicht und eine Betroffenheit geht von ihm aus, um die ihn jeder Bürgerrechtskämpfer der DDR beneiden würde.

»Weil vor dir noch andere dran waren. Wir waren ganze drei Minuten zu zeitig in der Praxis. Drei Minuten hättest du ruhig warten können! Vor allem, weil die Frau Doktor immer so nett zu dir ist.«

Der alte Mann ist immer noch empört und seine Hände umkrallen fest die Lenkstange des Einkaufswagens.

»Ich habe gewartet! Zwei Minuten lang! Die kann mich doch gleich dran nehmen! Bin ich der Patient oder sie?«

Sein Widerstand bricht zusammen.

»Jetzt komm Erich! Mach kein Theater! Wir brauchen doch nur dein neues Rezept. Das dauert keine fünf Minuten. Dann können wir immer noch einkaufen. Laß den Wagen derweil hier stehen. Der läuft dir nicht weg.«

Margot greift dem Erich von hinten unter die Schulter und Erich läßt sich bereitwillig abführen. Ohne Wagen und in Pantoffeln. Sachen gibts.

Capitulum V

Weiter vorn, neben dem Gemüse lungert ein weibliches Trio herum. Sie ähneln sich nicht nur untereinander, nein, sie stehen da, wie durch den Kopierer geschoben. Nur der Zoom beim Kopiervorgang hat sich verstellt. Oder sie scheinen eben einer Matrjoschkapuppe entsprungen zu sein. Nur sehen sie viel hübscher und williger aus, als ihr hölzernes Pedant. Ein Jahr, 17 Jahre und 33 Jahre alt. Der Klassiker unter den Weglaufmodellen.

Die Rädelsführerin hatte, als sie selbst 16 Jahre alt war, nicht auf ihre Mutti gehört und sich nach der Disco unter einer Hecke einen Samenfaden unbekannter Herkunft eingefangen. Schmierinfektion. Da waren das Theater und nach der Tragezeit das Geschrei groß. Gut, sagte sich die damals Heranwachsende, da kann man nichts machen und daß sie nun durchhalten müßte, bis die Kleine aus dem Haus ist. Dann wäre sie Anfang 30 und noch nicht zu alt, um ihr Leben genießen zu können. Gesagt, getan. Was sie nicht ahnte war, daß sich ein klitzekleiner Softwarefehler in ihren Genen eingeschlichen und sie etwas umprogrammiert hat. Die Fehlschaltung mußte sie natürlich an ihre Tochter weitergegeben und diese funktioniert, wie ein Schläfer eines Geheimdienstes. Man spürt und weiß nichts von ihm. Erst wenn er aktiviert wird, läßt er die Bombe platzen.

Das tat der Fehler auch, als der Nachwuchs aus dem Gröbsten raus war und die Mutter sich anschickte ihr Leben zu genießen. Bumm! Die Gene schalten wieder auf hemmungsloses Gebären um. Aus der Traum vom Leben genießen. Wieder Schmierinfektion und wieder unbekannter Lebensspender. Der frischgebackenen Oma bleibt nichts weiter übrig, als den Essig des Lebens bis zur Neige auszukosten und sich um ihr Enkelkind zu kümmern. Bevor dies Sozialpädagogen und Verwalter machen. So sehr kann keine Mutter, die ihre 20 Sinne beieinander hat, ihre Tochter hassen, um denen das Feld kampflos zu überlassen.
Die Kleine ist putzmunter, ausgelassen und guckt kein bißchen verstört, also konnte noch kein Sozpäd Hand an sie legen. Soweit so gut. Nur: Gene können nichts vergessen. Ist das Programm installiert, läuft der Countdown bis sie zarte 16 Jahre alt ist. Dann beginnt das Spiel von vorn und die 33jährige Oma ist mit ca. 48 Jahren Uroma. Ich halte jede Wette, daß die Alte mit 60 Jahren einen gut geplanten Suizid hinlegt.

Capitulum VI

Der gut gebaute Samenspender steht schräg gegenüber bei den passierten Tomaten. Genau so einer könnte es gewesen sein. Braungebrannt, T-Shirt, Bermuda-Shorts, Sonnenbrille auf gegeltem Haar und seine Augen verraten, daß sein Gehirn auf »Stand by« geschaltet ist. Da funktioniert nur die Stromversorgung und ansonsten läuft das Notprogramm, das da heißt: Art erhalten – also alles vögeln, was irgendwie willig ist. Aber wenn ich mir den Inhalt seines Einkaufskorbes anschaue – Wegwerfwindeln, Babynahrung, Kinderklamotten in drei verschiedenen Größen und diverses Schulzeug – hat selbst die Notversorgung nicht reibungslos funktioniert. Der hat sich einkassieren lassen. Von einer Frau, mit der schlecht Kirschen essen und Kinder kriegen ist. Das arme Schwein finanziert ihr jetzt die drei Kinder – zwei davon sind nicht von ihm –, die Eigentumswohnung, ihren sauteuren Schlitten und ihre Abende mit ihren saucleveren Freundinnen. Der buckelt sich auf dem Bau krumm und weiß nicht warum. Der sammelt Überstunden wie früher die Weiber und fährt jede Sonderschicht, nur um nicht zu Hause bei seiner lieben Familie sein zu müssen. Wenn er doch mal muß – daß bleibt nun mal nicht aus – geht er stundenlang für sie einkaufen und überlegt sich dabei, wie er dem Schlamassel entfliehen kann.

Aber wer ständig Nummern schiebt, muß sich nicht wundern, wenn er aus einer nicht mehr herauskommt. Das ist das Wolfsgesetz der Libido. Es besagt auch, daß der Tag seines Einzuges bei seiner Kirsche und ihren Bälgern für sie ein guter Tag zum Sterben war. Da läuft nichts mehr. Für ihn. Sie hat garantiert einen Lustknilch in der Hinterhand, den er auch mitfinanziert. Er selbst steht auf dem Schlauch und auf dem Trockenen. So wie er die Oma und ihre 16jährige Tochter und Jungmutti anstarrt, hat sich sein Sexualtrieb von dem Schock seiner Familienwerdung wieder erholt. Heute Abend wird der Typ all seinen Mut zusammennehmen, sich auf das Klo schleichen und das machen, was er sich sonst nie getraut hat. Nein, nicht heimlich rauchen, sondern sich unheimlich einen runterholen und dabei an die Oma oder/und an ihre süße Tochter denken.

Capitulum VII

Der Puddingarsch hantiert am Backwarenregal, die Karteileichen sabbern noch zwischen dem Wein, das Trio trollt sich gen Kasse, der Angearschte will nicht nach Hause und Erich Mielke hat seinen Einkaufswagen wieder. Was will der mit sechs Pullen Weinbrand? Sich mit ihnen unterhalten und wenn sie nicht seiner Meinung sind, einfach wegschütten? Wie ein Alki sieht der nicht aus. Vielleicht will er auch nur vor Margot auf die Kacke hauen. Wer weiß. Zumindest hat er jetzt Schnürschuhe und keine Pantoffel mehr an.

Wen haben wir hier noch? Die beiden Öko-Spießer vorn neben der Kühltheke sind eigentlich nicht der Rede wert. Das sind Umwelt-Aktivisten der ersten Stunde, also aus einer Zeit, als es noch keine Umwelt gab. Die wurde von der DDR-Diktatur totgeschwiegen und sie haben darauf aufmerksam gemacht, als sie einen verlassenen Bahndamm mit Hilfe einer Sense vom Unkraut befreiten. Das wurde ihnen von den wachsamen Schergen der Staatssicherheit als ein bewaffneter, bandenmäßiger Überfall auf das historische Transportwesen der DDR ausgelegt und beide verschwanden für viele Jahre im »Gelben Elend«, der Strafvollzugsanstalt des MfS. Das war Anfang der 90er Jahre.

Später, nach ihrer Entlassung im Jahre 1994 organisierten sie ihren Widerstand neu und entwarfen verschiedene Kinderspielplätze an neuralgischen Punkten des Regimes. Da sich diese praktisch überall befanden, ersparte ihnen dies ein Menge Arbeit und bescherte der Staatsmacht schlaflose Nächte. Offiziell konnten sie nichts gegen Spielplätze haben, wenn sie ordnungsgemäß eingezäunt wurden. Inoffiziell fehlte aber das geforderte Geld dafür. Kaum wurde ein von den Freizeitextremisten vorgeschlagener Standort unter fadenscheinigen Gründen, meist verteidigungspolitischen, abgelehnt, stand ein neuer zur Disposition. Letztendlich war das System damit überfordert und knickte 1999 weg. Was für ein Erfolg!

Später in der Demokratie interessierte sich niemand mehr für ihre Pläne, weil es für solche Hirngespinste schlicht kein Geld zum verpulvern gab und die beiden Querdenker verlagerten ihre Aktivitäten wieder auf das grundsätzliche Dagegensein. Der universelle Protest erspart ihnen auch eine Menge Arbeit und so bleibt ihnen zwischen den Demos gegen Kernkraft, Stromleitungen, Autobahnabfahrten, Fluglärm usw. noch Zeit um ihr Auto zu putzen, sich um den Haushalt zu kümmern oder eben um einkaufen zu gehen. Letzteres natürlich unter Protest und Vorbehalt.

Da wären wir wieder bei der Ausgangsfrage: Was ist schuften bis zum Umfallen und was privates Vergnügen? Darf Protest Spaß machen? Und wenn ja, wem? Den Protestierenden oder den knüppelnden Bullen? In Stuttgart zumindest scheint die Freude am Konflikt gleichmäßig beide Seiten erfaßt zu haben. Trotz der Machtübernahme durch einen grünen Protestler gegen den Bahnhofsneubau, wird der Bahnhof trotzdem weitergebaut. Der Widerstand dagegen erwacht wieder und der ursprüngliche Protest läßt den aktuellen niederknüppeln. So funktioniert eben Demokratie. Die Bahn hat eben mit dem Geld des Steuerzahlers die meisten Stimmen auf sich vereint.

Capitulum VIII

Auch ich höre jetzt Stimmen. Vorn an der Kasse. Aber bevor ich mich damit befasse oder noch einmal auf den Puddingarsch näher eingehe, möchte ich betonen, daß es auch nette Menschen zwischen den Warenauslagen zu bestaunen gibt. Wie die junge Maid an den Restposten. Die ist Mitte 20 und hat trotz ihrer ca. 4jährigen Tochter noch nicht mit dem Leben abgeschlossen. Das kommt später, falls sie noch einmal auf so einen Arsch wie den Bermudabehosten reinfällt. Das ist zwar wahrscheinlich, aber da sie sich fest vorgenommen hat, dies nicht zu tun, dauert es vermutlich noch eine Weile, bis sie diese Pleite wieder vergessen hat. Wie heißt es so schön? Frauen greifen sich immer dieselben Männer. Sie können nichts dafür. In ihren Genen ist ihr Beuteprofil fest vorgeschrieben und den Rest erledigen Pheromone. Verliebt sein ist, rein chemisch gesehen, nun mal nichts anderes als eine handfeste Psychose. Da helfen keine Medikamente, kein Arzt oder ein tiefer Griff in die Erfahrungsbibliothek. Egal.
Das Schnurzi jedenfalls befindet sich noch in der Phase, in der sie meint, ohne einen Mann durchs Leben gehen zu können. Was durchaus möglich und erstrebenswert ist, aber nur selten gelingt.


Ihr neues Alleinleben scheint sie durch eine gelungene Renovierung ihrer Wohnung einläuten zu wollen. Sie stemmt gerade den vierten Eimer weißer Wandfarbe in ihren Einkaufswagen, genau auf die 5 Rollen Rauhfasertapete, die nun zerknitterte Makulatur sind. Damit wird sie viel Freude beim Tapezieren haben. Vielleicht lernt sie daraus und läßt die nachgekaufte Tapete ganz, denn die 5 Rollen reichen, in Frauenhand, maximal für die Toilette.
Wie erwartet, legt sie noch einen Boxenstop am Weinregal bei den Palavernden ein. Im Gegensatz zu mir, schiebt sie die zwei alten Schachteln aber einfach beiseite, um sich ihren Weg zu bahnen. Ja, manchmal kotzt mich meine Rücksichtnahme und Harmoniesucht an.
Das Schnurzi entscheidet sich kurzentschlossen für einen Cabernet Sauvignon. Die denkt wirklich, daß sie heute Abend mit dem Malern fertig sein wird und sich abschließend die Pulle gönnen kann. Das wird wohl nichts werden. Wenn ich mich recht erinnere, wohnt sie zwei Straßen weiter. Dort wird man heute noch Schreie zu hören bekommen: »Scheiß Leim! Fuck! Scheiß Tapete! Fuck! Scheiß Farbe! Shit Happens! « usw.

Warum nehmen sich junge, attraktive und intelligente Frauen eigentlich immer nur langweilige, hirntote Totalversager als Mann? Kann mir das jemand mal erklären? Warum nicht, z.B. mich? Ich bin erfahren, verläßlich, alltagstauglich – einkaufen, tapezieren, Müll herunterschaffen: das ist alles kein Problem –, in Fragen Kinderbespaßen bin ich Fachmann und kann selbst auf ein über die Maßen erfolgreiches und schon erwachsenes Exemplar verweisen. Bügeln, nähen, kochen, den Haushalt schmeißen kann ich auch – eigentlich brauch ich keine Frau – und in der Kiste schlage ich jeden jungen, rammeligen Hüpfer durch meine flexible ausgefeilte Technik. Rein optisch habe ich zwar schon bessere Zeiten gehabt, aber mein überdurchschnittliches gutes Aussehen hat sich zu einem reifen, lebenserfahrenen, interessanten Abbild meines Ichs gewandelt. Gut, ich bin 20 Jahre älter als das Schnurzi aber genau deswegen auch 20 Jahre eher tot. Da ist sie mit Mitte 40 wieder solo und kann sich ungestört für Kunst und Kultur interessieren. Für Wein scheint ihr Interesse ja schon geweckt zu sein. Versteh einer Frauen.

Warum der Puddingarsch nicht aus der Hüfte kommt, und noch immer bei den Backwaren rumalbert, verstehe ich auch nicht. Nein, so ein Gesäß kann nicht gottgewollt sein. So etwas kann man sich auch nicht in einer Verwaltung breitsitzen. Das geht nicht. Dann wäre er zwar breit aber auch flach und die verdrängten Fettzellen würden ihr als Bauch zwischen, nein, vor den Beinen hängen. Warum läßt die sich das nicht wegmachen? So teuer sind Abdecker nun auch wieder nicht.

Capitulum IX

So, langsam werde ich müde vom strengen Einkauf und das, was ich eigentlich holen wollte, haben die hier sowieso nicht. Das gibt es nur eine Kaufhalle weiter. Für das bißchen Kram, was in meinem Einkaufswagen liegt, hätte ich mir den Aufwand sparen können. Trotzdem ist der kleine Abstecher in diesen Ramschladen hier nicht umsonst gewesen. Mein selbstregulierendes System hat sich wieder eingepegelt und tendiert nun nach einer Tiefenentspannung, die ich gern an dem leckerem Schnurzi ohne ihre Farbeimern durchführen würde, aber dem ist nun mal nicht so, also werde ich erst an die Kasse und dann nach Hause trotten müssen.

An der Kasse erwartet mich eine andere Sonderform weiblicher Lebenslüge. Die Frau, die da sitzt, ähnelt in ihrer Erscheinung den beiden Verwaltungsfachangestelltinnen, sie hat aber bedeutend mehr Klasse und thront da eher, als das sie nur sitzt. So stelle ich mir eine entmachtete Königin in einem Straflager vor. Die ist so erhaben und unerreichbar für irdisches Ungemach, daß sie nichts und niemanden ihre Aufmerksamkeit schenkt. Einzig die Waren zieht sie flüssig über den Scanner, aber ihr ist es völlig egal, um was es sich jeweils handelt. Ich könnte ihr eine tote Krähe auf das Band legen – solange die einen Strichcode hat, wird sie diese ignorieren.

Manchmal gehe ich im Auftrag einkaufen und Frauenzubehör kaufen. Meist sind es Tampons oder Damenbinden, die in der Fäkalsprache Stöpsel und Bretter heißen. An der Kasse plaziere ich sie so auf das Band, daß sie von der Kassiererin erst im letzten Moment – am Scanner – bemerkt werden. Normalerweise bekomme ich von der Ladenhüterin irgendeine Reaktion. Sei es ein Lächeln, ein anerkennendes Nicken oder ein verschämtes Rotwerden. Aber bei dieser Diva verpufft meine Strategie im Nichts. Nix, Null, Zero. Keine Reaktion. Die klingelt auch nicht nach einer anderen Kassiererin, selbst wenn die Schlange quer durch die ganze Halle reicht. Sie lehnt jede Hilfe ab und erstarrt zu einem erbitterten Mahnmal, bei dem sich nur die Hände bewegen können.

Das ist auch kein Wunder, versteht sie sich doch als das ausgenutzte und angepißte Wesen auf diesem Planeten. Dabei fing ihr Leben vielversprechend an: Erst ein Einser-Abitur und ein begonnenes Medizinstudium an der renommiertesten Universität Europas. Sie war jung, schön, intelligent und ihr stand die Welt offen. Wie eine Furie kniete sie sich in ihr Studium, um eine der gefragtesten Hirnchirurginnen des Landes zu werden. Der Erfolg gab ihr recht: Jede Klausur, jeder Prüfung oder Facharbeit bestand sie mit Bravour. Sie war glücklich, bis sie ihre Verdammnis auf dem Semesterball kennenlernte. Er war das, was sie sich erträumte: Ein junger, attraktiver Medizinstudent aus gutem Hause mit tadellosen Benehmen und glänzenden Noten. Fortan lebte sie wie im Rausch. Der erste Geschlechtsverkehr mit ihm war göttlich, der Orgasmus überirdisch und seine Eltern stinkreich. Was will eine Frau mehr? Natürlich heiraten und Kinder bekommen, was sie auch noch gemeinsam durchzogen. Ihr Studium hängte sie an den Nagel und opferte sich ganz für ihre Familie auf. Sie hielt ihren Mann den Rücken frei und ermöglichte ihm einen sorgenfreien Facharztabschluß und die Promotion – all die Dinge, die sie selbst gern erreicht hätte, aber auf die sie mit Rücksicht auf ihn und ihre beiden Söhne verzichtete. Der Mann machte ihre Karriere und die Söhne wuchsen prächtig heran – vollkommener kann ein Glück nicht sein, wenn er nicht ständig irgendwelche Krankenschwestern flachlegen würde.

Ein Nervenzusammenbruch folgte dem nächsten und sie machten später Platz für ein gediegenes depressives Krankheitsbild. Heerscharen von Psychologen erklärten ihr, warum ihr Mann ständig fremdgehen mußte. Er leide an einer Persönlichkeitsstörung und Minderwertigkeitskomplexen, die er mit dem Erfolg bei Frauen zu kompensieren versuchte. Aber diese Erkenntnis half ihr auch nicht weiter, als er dann nach zwanzig Ehejahren die Scheidung einreichte. Das war das Aus für sie und der Anfang von mehreren Klinikaufenthalten, nicht als Starärztin, wie sie es sich in ihrer Jugend erträumte, sondern als eine Patientin unter vielen. Ihr Mann folgte den Gesetzen seines gehobenen Standes und heiratete eine junge, attraktive und intelligente Medizinstudentin, wie sie es selbst einmal war. Vor 20 Jahren. Sie hatte ihre Schuldigkeit getan, sie konnte gehen oder besser: sie wurde entsorgt.

Ihr bleibt nur die chemische Keule, den Job in der Kaufhalle und die Gewißheit, daß beides sie bis an ihr Lebensende begleiten wird. Von ihren Söhnen hört sie auch nichts mehr. Sie paßt nicht mehr in ihr erfolgreiches soziales Umfeld. Beide studieren Medizin und beide werden demnächst heiraten. Eine Medizinstudentin natürlich. Was sonst?

Capitulum X

Bevor ich bei der Alten da vorn abkassiert werde, können noch Jahre vergehen. Vor mir stehen noch 15 Gestalten an, die nur dieser Stadtteil auszuspucken vermag. Im Moment ist gerade ein dauerbreites Pärchen am Start, die nachmittags um 17.00 Uhr ihr Frühstück einkaufen.

»Eine Flasche reicht. Die braucht doch nur eine zum Scannen! Die anderen läßte im Korb. Sind das die Kippen, die du rauchst? Die hier sind aber gelb und nicht golden. Bist du dir sicher, daß die das sind? Na, von mir aus. Hast du die Brötchen nicht mit eingepackt? Ich find die hier nicht. Wie vergessen? Na, holst du die jetzt mal? Hier warten Leute! Ich bezahl da mal inzwischen. Muß sich die Trude eben noch mal neu anstellen. Was vergißt die auch die Brötchen? So etwas dämliches aber auch. Ich möchte mal wissen, wo ich die aufgegabelt habe. Das muß beim Kurt gewesen sein. Wo sonst? Mist, bezahlen kann ich jetzt nicht. Die Alte hat das Portemonnaie mitgenommen. So eine Scheiße aber auch. Da müssen wir jetzt warten, bis die wieder hier ist. Hoffentlich weiß die noch, wo sie die Semmeln hingeschmissen hat.«

Was liegt nun näher, als sich auf den Wagen zu stützen und seinen Tagträumen nachzuhängen?

Morgens, gegen 11.00 Uhr begrüßt mich meine Sekretärin mit der Botschaft, daß ich gestern wieder mal ein paar Millionen Euro versenkt habe. Gut, davon geht die Welt nicht unter und das kann jedem einmal passieren. Die paar Anleger werden sich auch wieder beruhigen. Warum werden die auch nicht stutzig, wenn ich von einem todsicheren Ding erzähle? Selber schuld. Das ist ihre Scheiß Gier. Da müssen sie eben ein, zwei Monate sparen, dann können sie schon wieder bei mir anlegen. Wozu bekommen die denn ihre Rente? Zum Zocken natürlich.
Die nächste Botschaft beunruhigt mich dann schon eher. Der Chef hätte eine sensationelle Spontanheilung hingelegt und er wäre aus dem Hospiz wieder herausgeflogen. In einer Schweizer Kurklinik würde er sich jetzt erholen. Dabei hat sich nur seine Frau von ihm getrennt. Das ist doch kein Grund, um plötzlich wieder gesund zu werden. Jetzt muß ich sehen, wie ich die Alte wieder loswerde. Diese hysterische Kuh ist nutzlos, wenn sie die Firma nicht erbt. Das Theater jedesmal in der Kiste – statt das ich mich einfach an ihr abreagieren könnte, muß ich sie auspeitschen und dabei den Namen ihres Mannes rufen. Nun gut, daß hat jetzt ein Ende. Jetzt stellt sich für mich die Frage, ob die Frau für Rattengift empfänglich ist, oder ob ihr Stoffwechsel das Zeug zum Überleben braucht.

Capitulum XI

Tja, das Leben könnte so schön sein und arbeiten wirklich Spaß machen. Aber ich bin nicht im Büro beim Geld verzocken, sondern in der Kaufhalle an der Schlange zur Kasse. Hinter mir sind die beiden kaputten Weiber aus der Verwaltung zu Potte gekommen und haben sich jeweils für einen Dornfelder Rosé entschieden. Das Gesöff muß man gut kühlen, bevor man es in den Ausguß kippen kann.

Wenn ich mir die Beiden so anschaue, brauche ich keine Kristallkugel, um in ihr Zukunft blicken zu können. Irgendwann landen sie an einer Hotelbar in Mombasa. Offiziell gilt der Spontanurlaub dem Ausspannen und inoffiziell dem Entspannen. An dieser Bar saufen sie sich die ersten zwei Tage ins Koma, bis sie keine Hemmungen mehr haben und genau das tun, weswegen nicht nur sie hier sind: Ein junger Wilder wird ihnen das Gehirn aus dem Leib vögeln und ihnen den ersten und einzigen Orgasmus ihres Lebens bescheren. Der macht das nicht, weil er Spaß an der Sache hat, sondern weil sein Schwanz alles ist, was er besitzt und weil er, wenn er Glück hat, sein Visa nach Europa bedeuten kann. Wie beschissen ein Leben in Armut und zwischen Wellblechabfällen doch sein muß, wenn man keinen anderen Ausweg sieht, als scheinbar vermögende alte Schreckschrauben durchzunudeln. Wenn er Pech hat, und er hat meistens Pech, quatscht die Alte am Abreisetag nicht mehr von Liebe, sondern von schmerzender Trennung und wenn er dabei den Tränen nah ist, bekommt er einen Zehner als Abschiedsgeschenk.

Die Hotels in Afrika sind voll mit solchen Gestalten und der ganze Kontinent lebt von dem europäischen Sextourismus beiderlei Geschlechts. Männer allerdings sehen die ganze Sache pragmatischer: Sie lassen sich vorher von ihrem Hausarzt untersuchen und werden gegen alle Eventualitäten geimpft. Bevor sie sich dann eine junge Schwarze ins Bett mieten, schicken sie die duschen und schrubben sie mit deutscher Seife. Wenn sie dann ihre Sache gut erledigt haben, bekommen sie auch ihren Zehner. Im Gegensatz zu Frauen besitzen Männer so viel Anstand, diese Dienstleistung sofort und in bar zu bezahlen.

Bezahlen werde ich jetzt auch. Die Schlange vor mir ist komplett durch die Kasse und löst sich gerade auf dem Parkplatz auf. Ich fühle mich matt und ausgebrannt. War das nun Arbeit oder mein Freizeitvergnügen? Ich weiß es nicht, aber es geht mir jetzt besser.

Montag, 6. Juni 2011

Denn wo dein Schatz ist ...


»Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich; wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut. Lukas 11.23«

Nun ist er wieder weg, der Kirchentag. Wie gekommen, so zerronnen.


Was bleibt, sind ein paar leere Pappschachteln vom inoffiziellen, tschechischen Ausstatter der Festspiele, ein paar zukünftige Neueintragungen im Geburtsregister, die auf so klangvolle Namen wie Thekla, Thabea, Balthasar, Jakob, Ibrahim-Maria, Kevin oder Joachim hören werden, ein paar andere Sündenfälle, sowie ein schlechter Nachgeschmack.


Der Vorgeschmack fühlte sich allerdings auch nicht besser an. Er war irgendwie evangelisch. Als wenn einem, ein uraltes, verstaubtes, pinkfarbenes Sofakissen um die Ohren gehauen wird, aus dem die Holzwolle quillt und einem dabei versprochen wird, daß man erst damit aufhören werde, wenn aus dem Kissen der Geruch von Frühling, weichgespülter Freiheit und Glückseligkeit strömt. Dieser anerzogene Reflex, der bei einem Christen so wunderbar funktioniert, sobald der ein Kreuz sieht und hundert Jahre alten Moder riecht, wollte sich bei mir nicht einstellen. Ich habe auf diese Plakate gestarrt und der Vorgeschmack hörte einfach nicht auf, evangelisch zu sein. Obwohl dieser trostlose Kitsch eher auf katholischen Mist gewachsen zu sein scheint – ein katholischer Führungskader wirbt nicht, er ordnet an – scheint er auf protestantischen Nährboden gefallen zu sein. Das Prinzip ist so simpel, wie die Kirche selbst: Herzscheiße auf Bibelsalat = Zusammengehörigkeitsgefühl. Identifikation durch Ausgrenzung. Außen vor bleiben alle, denen das Niveau zu niedrig ist. Oder zu einfach gestrickt.

Die Kirchentagspräsidentin Frau Katrin Göring-Eckart würzte ihre Laufmaschen mit der Aussage, daß sie froh und stolz ist, das der Deutsche Evangelische Kirchentag nun in Ostdeutschland angekommen ist. Was auf dem ersten Blick wie eine übliche klerikale Phrase klingt, deren Aussagekraft bei Null liegt, läßt beim zweiten tief blicken. Dresden ist nicht Ostdeutschland, wird aber damit gleichgesetzt. Die Vokabel Ostdeutschland ist aus historischen Gründen negativ besetzt und offiziell nur im Wetterbericht der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gebräuchlich. Ansonsten spricht man vom Osten Deutschlands. Oder von Mitteldeutschland. Was geographisch und historischer Unfug ist. Wenn Sachsen in Mitteldeutschland läge: Wo ist dann Ostdeutschland? In Böhmen, Mähren usw. bis kurz vor Moskau? Waren das nicht die Ostgebiete des Deutschen Reiches? Egal. Die, die Mitteldeutschland erfunden haben, war es nur peinlich ihren Ehefrauen zu gestehen, daß sie in den Osten versetzt wurden und sie damit zum Bodensatz dieser Gesellschaft gezählt werden und nicht zu deren Leistungsträgern. Wer wollte schon freiwillig in den Osten? Niemand. Selbst Erich Honecker mußte.

Wenn in Frau Göring-Eckarts Oberstübchen ihr Unterbewußtsein die Führung übernimmt und sich so verklausuliert zu Wort meldet, kann man das auch getrost so übersetzen: Sie ist heilfroh, daß sie ihr Spektaculum gegen alle Widerstände nach -zig Jahren in Dresden – also der einzig ernstzunehmenden Stadt in der besetzten, aber nicht eroberten Zone – durchziehen darf. Militärisch gesehen, ist ihr ein Brückenkopf in einem hoffnungslosen Gebiet gelungen.

Ihren Stolz kann man nur verstehen, wenn man einen Vergleich an den Haaren herbeizieht. Egon Krenz wäre vor Freude implodiert, wenn es ihm gelungen wäre, sein Pfingsttreffen der FDJ in München abzuhalten, und ihm dafür auch noch rund 15 Mio West-Mark zum Verpulvern, aus dem bundesdeutschen Staatsschatz zur Verfügung gestanden hätte. Die Freude wäre für ihn allerdings nur kurz gewesen, denn er hätte allein nach München ziehen müssen. In Erwartung eines vergleichbaren politischen Programms, wie das der Kirchentag seinen Schäfchen verordnet, wäre jeder FDJler zu Haus geblieben. Es sei denn, er wäre auch ein Christ gewesen. Die wären in froher Erwartung trotzdem gefahren. Christen sind da aus einem anderen Ei gepellt. Die tun sich alles an, was man ihnen abverlangt. Ihr Gesprächsbedarf ist durch Mutation ins Unerschöpfliche gewachsen. Der ist einfach nicht totzukriegen. Falls sie sich wirklich mal nichts mehr zu sagen haben, reden die einfach über Gott. Das machen sie schon seit knapp 2000 Jahren konsequent erfolglos und sie werden es noch weitere 2000 Jahre tun.

Deswegen sind sie ja auch aus der FDJ wieder herausgeflogen. Deren Statut sah ja auch vor, konfessionsgebundenen Jugendlichen, soweit sie auf demokratischen Boden wandeln, eine Heimstatt zu geben. Das Dilemma wurde allen Beteiligten erst bewußt, als es schon zu spät war. Ein gemeinsames Handeln war schlicht nicht möglich. Zwar teilten beide Lager in etwa die gleiche Idealvorstellung darüber, aber der Belzebub steckte wie immer im Detail. Die FDJ redete von Max braucht Wasser und die Christen über Gott. Die Einen wollten sich die Erde untertan machen und die Anderen nur daran glauben. Irgendwie hätte man sich schon einigen können, wenn das böse Wort nicht Demokratie heißen würde. Die macht nur Spaß, wenn man selbst die Mehrheit der Meinungen für sich vereinen kann. Ist dies nicht der Fall, sind automatisch alle anderen undemokratisch. Also packten die Christen ihr Zeug wieder zusammen, oder wurden zusammengepackt und kochten fortan ihr Süppchen alleine. Das Ganze nannten sie Ökumene und man lies sie im eigenen Saft brodeln, solange sie sich auf Gespräche über Gott beschränkten. Was sie blöderweise nicht taten, weil sie es gar nicht konnten, sonst wären sie ausgestorben. Die brauchten auch Frischfleisch, um nicht nur an spiritueller Inzucht zugrunde zu degenerieren.

Nur: Wo bekommt man es her? Das Frischfleisch? Die Frischzellenkur? So, wie die Alten sungen, zwitschern auch die Jungen. Auf einen Altchristen kommt im Durchschnitt ein Junger. Das reicht aber nicht. Also mußte die Fackel des Christentums dorthin getragen werden, wo sie auf trockenem, verlassenen Äckern ohne Gegenwehr munter brandschatzen konnte. Das waren Schulen, Kindergärten, Krankenhäuser und Hospizen. Einen Menschen zu einem Christen zu machen ist relativ einfach, wenn man ihm von früh bis abends einredet, daß er einer ist. Früher oder später glaubt er dann selbst daran. Das ist nachhaltiger als ihm einfach ein Körperteil zu verstümmeln und ihn so zu brandmarken, wie es andere Religionen tun.

Die herrschende, wissenschaftlich fundierte Religion in der DDR erkannte die Gefahr, stand sie doch selbst vor dem gleichen Problem: Der Nachwuchs blieb aus – schlimmer noch: Er wechselte die Lager. Warum auch immer.

Aus anfänglichen, geschönten Gemeinsamkeiten wurden unüberbrückbare, unkaschierte Gegensätze und man pißte sich gegenseitig ans Bein, wo man nur konnte. So schön, wie die Trennung zwischen Kirche und Staat in der DDR gelungen war: Letztendlich löste sie keines der gemeinsamen Probleme.

Was bleibt, ist die Erkenntnis: Wenn man jemanden ans Kreuz nagelt, muß man damit rechnen, daß er wieder aufersteht. Ausrotten kann man nur Menschen, aber keine Ideen. Deswegen ist der staatlich verordnete Kreuzzug gegen den Glauben im Sande verlaufen und genauso wird der Siegeszug der Glaubenskrieger mit ihren ostgedresdnerten Kirchentag im Nichts verpuffen.


Womit wir wieder in der Gegenwart wären. Das Logo des Kirchentages ist mit dem Jerusalemkreuz identisch. Die Darstellungen weichen nur, je nach dem verwendeten Kreuz, von einander ab. Links im Bild sehen wir das einfache, griechische Kreuz und in der Mitte das Krucken-, Krücken- oder das Hammerkreuz. Letzteres ist etwas problematisch, gilt es doch auch, wie die Swastika, als Sonnen- und Glücksymbol und ist ihr graphisch ähnlich. Deswegen brachte man wohl auch das einfache Kreuz zum Einsatz. Verschwörungstheoretiker werden sich davon allerdings nicht beeindrucken lassen. Sie werden das sehen, was sie sehen wollen: Bestenfalls ein Kreuzzugsymbol mit Bezug auf die jüngere deutsche Geschichte. Aber das ist es mitnichten. Die Suppe mit dem Kreuz brockte zwar ein gewisser Herr Kreuzritter Gottfried von Bouillon, seines Zeichens einer der Anführer des Ersten Kreuzzuges, ein, aber erst 400 Jahre später erkor es unter anderem der Ritterorden vom Heiligen Grab zu seinem Emblem. Für was es bei diesem katholischen Verein steht, weiß ich nicht so recht. Den weltweit agierenden 22000 Rittern geht es vor allem um die Unterstützung von kirchlichen Einrichtungen in finanzieller Hinsicht. Vielleicht haben sie mit den Evangelen einen ökumenischen Sponsorenvertrag: Ihr tragt unser Kreuz in der Flagge und wir eure finanziellen Verbindlichkeiten.

Einer trage des Anderen Last. Welch schöner Gedanke. Da kann der Staat nicht anders, als sich an den Kosten der Propagandaveranstaltung zu beteiligen. Die 7,5 Mio. Euro sind zwar etwas mickrig ausgefallen, aber die Bundesrepublik muß sich auch um andere, schützenswerte Minderheiten, wie die Punks vom Bahnhof, die Sorben-Mafia, die FDP, um nur einige zu nennen, kümmern können. Wenn man bedenkt, daß die Kirche den Staat jedes Jahr um mehrere Milliarden Euro erleichtert, kann man dankbar sein, daß sie es bei dieser Bonuszahlung bei ein paar Milliönchen belassen hat.

(Anmerk. des Verfassers: Hinter diesem Hintergrund ist mein Entwurf für die Leibstandarte des Kirchentages, oben rechts, zu sehen. Sie wurde als zu realitätsnah abgelehnt.)

Das diese Raubzüge am Steuerzahler immer noch möglich sind, ist dem Umstand zu verdanken, das es keine Trennung von Staat und Kirche in diesem Land gibt. Die Kirche verliert zwar immer mehr an Basis in der Bevölkerung, aber das kann ihr egal sein, wenn sie weiterhin am Schalthebelchen der Macht sitzen kann. Nirgendwo verdunstet Geld so schnell, wie in Kirchenhand und nirgendwo versickert es so unwiederbringlich, wie in ihren dunklen Kanälen. Dabei hat der gemeine, gewöhnliche Christ nichts davon. Rein rechnerisch könnten die sich von den Staatsleistungen jedes Jahr einen neuen Porsche kaufen und sich Gottes Reich schon auf Erden leisten, aber so weit geht die Nächstenliebe der Kirchenfürsten nun auch wieder nicht. Das Fußvolk der Gotteskrieger kann sich in zu 100% vom Staat finanzierten christlichen Krankenhäusern krumm pflegen oder sich in Hospizen zu Tode schaufeln – abgespeist werden sie mit einem Apfel, einem Ei und dem Verweis auf das Matthäusevangelium, Kapitel 6. »Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz.« Was nicht einmal gelogen ist. Bischof Mixa z.B. kann über seine Schätze stundenlang labern, wenn er denn wollte. Er könnte auch noch länger darüber philosophieren, was da noch so alles im Kapitel 6 steht. Aus seinem Mund gesprochen, hätte der Satiregipfel von der ARD einen neuen Dauerbrenner.


Da würden zwar ehrliche, religiöse Gefühle im Wasserglas stürmisch toben, aber auch ohne jegliche Folgen verbleiben. Was macht der Christ, wenn er sich veräppelt und verarscht vorkommt? Richtig. Er redet über Gott und leidet. Leiden tut er so gar sehr gern. Da kann er Jesus so nah sein. Das meinte zumindest Mutter Theresa. Sie empfand das Leid und den Schmerz als eine wunderbare Sache. Vor allem, weil sie es nicht selbst betraf. Schmerz sei wie der Kuß Jesu – damit tröstete sie Krebspatienten im Endstadium und versagte ihnen jegliche Schmerzmittel. Von Jesus geknutscht zu werden, stelle ich mir auch nicht sehr angenehm vor, aber im Gegensatz zu einem Todkranken kann ich mich dagegen wehren. Gegen christliche Nächstenliebe sollte man dies auch tun – mit Händen, Füßen und als Ultimo ratio auch mit Waffengewalt. Es sei denn, man will leiden und zu den hirnlosen Verarschten auf diesen Planeten zählen.

Apropos verarschen: Der Bürgerpräsident der Herzen, Joachim Gauck war auch als Staat zu Gast in der Kirche oder eben zu ihrem Kirchentag. Diese Formulierung habe ich frei der DNN entnommen und der geneigte Leser müßte dabei vor Lachen unter den Tisch gerutscht sein. Sei es, wie es sei. Joachim muß ziemlich sinnentleert über die Gründe palavert haben, warum der Bürger sich von der Politik abwende und obwohl dieser konkrete Vorstellungen über einen Politikwechsel habe, nicht wählen gehe. Ja, warum denn nicht? Weil er die Kirche weder wählen, noch abwählen kann. Die ist schon da, und zeigt sich von Wahlen ziemlich unbeeindruckt. Sie ist fest in fast allen Parteien verankert. Nur Die Linke bildet da noch die Ausnahme. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis es ihnen ergeht, wie den Grünen. Von einer freien Protestpartei mit eigenem Profil, sind sie zu einem Ableger der zwei großen Volksparteien verkümmert. Schlimmer noch: Einen Aufnahmeantrag für die Partei »Die Grünen« bekommt man schon in jeder evangelischen Kirche Deutschlands hinterhergeworfen. Die Schamgrenze für die Kirche, einer Partei beizutreten ist in den letzten Jahren unternormalnull gefallen. Selbst in der CDU/CSU sind ihre Vertreter schon zu finden. Franz Joseph Strauß würde zu den Waffen rufen, wenn er es noch könnte.

Wo Joachim Gauck ist, da ist Christian Wulff auch nicht weit. Davon träumt zumindest Herr Gauck. Beide vereint eine politische Bedeutungslosigkeit nicht erst seit der Bundespräsidentenwahl und beide sind nun auch auf dem Kirchentag in Ostdeutschland angekommen. Während Herr Gauck noch über die schwere Arbeit in der Politik sinniert, wird der Bundespräsident konkreter: Er mahnte mehr Aufklärung und Differenzierung in der Auseinandersetzung mit dem Islam an. Was er damit meint, weiß ich nicht. Es ist möglich, daß er dies noch näher erklärt hat. Aber da ich nicht dabei war, entzieht sich das meiner Kenntnis. Aufklärung über den Islam habe ich bitter nötig. Schon mit Hinsicht auf meine Kenntnisse über das reale Christentum. Meiner Meinung nach, nehmen sich beide nicht viel. Keine Religion ist besser als die andere. Beide gehören in den Hobby- und Freizeitbereich, aber nicht zur Entscheidungsgewalt einer Gesellschaft. Soviel muß man aus der Geschichte lernen dürfen. Den einzigen Unterschied, den ich entdecken kann, ist, daß ein Christ ein schlechtes Gewissen haben sollte, wenn er seine Frau verprügelt. Das ist etwas mager, aber es gibt ja in Deutschland viele Sektenbeauftragte der Volkskirchen, die mich über den Islam noch aufklären werden.

Margot Käßmann war auch da. Die Mutter aller guten Ratschläge für die 365 Tage im Jahr. Diese lieferte sie bis vor einem Jahr unter der Rubrik: »Der Politik reinen Wein einschenken.« Dann beging sie ihre Trunkenheitsfahrt und ihre Popularität schnippste durch die Wolken. Seit dem weiß der Christ: Das ist eine von uns. Aber nicht wegen dem besoffen Autofahren, sondern wegen ihrer Ehrlichkeit danach. Sie trat sofort von allen Ämtern zurück und bat demütig um Entschuldigung. Sie hätte sich ja auch herausreden können. Das sie nicht ganz allein im Auto war und Gott eine Mitschuld trägt, weil er ihr tatenlos zu sah, usw. Was Quatsch ist. Gott hat sie aus dem Verkehr gezogen. Statistisch gesehen kommt auf eine geahndete Trunkenheitsfahrt 200 unentdeckte. Der wollte nur Schlimmeres verhüten.
Aber nein: Sie zog sofort die Konsequenzen. Das war das einzig Richtige. Der Erfolg gibt ihr recht. Nach einem Jahr kehrt sie mit wehenden Fahnen zurück. Das unterstreicht auch die Gefährlichkeit dieser Person. Die glaubt an das, was sie sagt. Und sie glaubt an das, was sie tut. Damit unterscheidet sie sich wesentlich von ihren Kollegen. Um als Frau in einer männerdominierten Vereinigung, besser: von alten Sä... dominierten Klüngel, zur Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland aufzusteigen, gehört sehr viel. Sie muß die alte Herren-Riege reihenweise gelinkt und hintergangen haben, um auf diesen Posten zu kommen. Aber letztendlich ist das nur meine persönliche Einschätzung und kein Urteil. »Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammet nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebet, so wird euch vergeben. Lukas 6.37« Daran wollen wir uns mal halten.

Was mir auffällt ist, daß der 33. Kirchentag ein Lebensborn zu seien scheint. Von Frau Käßmann, Joachim Gauck über Nina Hagen zu ... – ich hör mal auf mit der Aufzählung, sonst werde ich hier nie fertig mit schreiben – das Erdreich scheint sich aufzutun und die eine oder andere Gruft wieder freizulegen. Längst verstaubte Gespenster fallen über das Land her und verbreiten einen Pesthauch, daß es einem ganz christlich zumute wird. Der Geist eines geschändeten Gottes schwebt über der Kloake religiösen Wahns und ganz irdischen Machtstrebens. Sieht so eine moderne Kirche aus? Natürlich. Wie denn sonst?

Wie gewonnen, so zerronnen. Der 33. Deutsche Evangelische Kirchentag ist Geschichte. Sein Brückenkopf liegt brach, die Fahnen werden wieder eingerollt, die Schlachtenbummler verschanzen sich wieder in ihren Hochburgen und der Osten Deutschlands bleibt besetzt aber unerobert. Was bleibt, sind schöne Erinnerungen an ein paar schöne Tage. Zumindest bei den Bockwurstbudenbesitzern Dresdens.

Was bleibt noch? Der üble Nachgeschmack? Der vergeht wieder. Da hilft Zähneputzen. Selbst die Löwen im altem Rom, denen man Christen als Hundefutter zum Fraß vorgeworfen hatte, bekamen nach dem Mahl Rosenwasser zum Trinken gereicht, damit sie den heiligen Geschmack wieder loswurden. Ein Nachruf? Eine Mahnung? Vielleicht, daß man um religiöse Gefühle zu verletzen, sie nicht mit Füßen treten, sondern dafür ein Kantholz von einem geweihten Olivenbaum nehmen sollte. Gut, das führt jetzt zu nix Gutem.

Vielleicht eine Grundsatzerklärung oder besser Forderung: Wer Religionsfreiheit fordert, muß anderen auch ein Recht auf Freiheit von Religion zugestehen. Dasselbe gilt auch im Umkehrschluß und vor allem, daß jeder seine Zeche selbst bezahlt. So klappt es nicht nur mit dem Nachbarn, sondern auch mit dem Christen.

»Da sprach Jesus zu ihm: Stecke dein Schwert an seinen Ort; denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen. Matthäus 26.52«
Post dingsda:


Positiv ist mir während himmlischen Heimsuchung folgender Verein aufgefallen: GeFAHR e.V. Was man von ihm halten soll – davon kann sich jeder selbst eine Meinung bilden. Zumindest scheint er ideologiefreier und sachlicher zu sein als ich. *g*