Untergehen ist das Eine, unter der Oberfläche bleiben das Andere. ;-)

Sonntag, 30. September 2012

Schuhzeitlose



»Tür zu! Und Schuhe abtreten!«

Die Tür geht von allein wieder zu und meine Schuhe sind abgeputzt. Gut, trampele ich eben noch ein wenig auf dem Abtreter rum.

»Ist das ein Sauwetter heute! Also der Kachelmann hat gesagt, – mein Sohn guckt jeden Abend bei dem im Internet vorbei – daß es morgen auch nicht besser wird. Ein Tief zieht vorüber und bringt kalte Polarluft mit. Heute Nacht soll es sogar schon Bodenfrost geben. Gott sei Dank hab ich die Dahlien schon ausgegraben. Das heißt, mein Mann war das. Der merkt auch, wenn es kälter wird. Dann hat der es im Kreuz. Das Reißen. Furchtbar sag ich ihnen. Leidend sieht der aus und er kann kaum noch krauchen. Ihren Mann haben sie doch auch an den Bandscheiben ...? Wie ...«

Geht das mal weiter hier? Die alte Schabracke quasselt quer über die Theke auf einen alten Garderobenständer ein. Das heißt, die zweite Mumie habe ich für einen gehalten, bis die anfing von ihren Mann und seinen geschrotteten Bandscheiben zu erzählen. Das passiert, wenn einen die Brille beschlägt und man nicht darüber nachdenkt, warum hier plötzlich ein Garderobenständer steht, den eigentlich keiner braucht, der aber trotzdem wüst behangen ist.

»Junger Mann! Ihr Schuh ist offen. Nicht das sie auf einen Senkel treten und hinfallen!«

Der Garderobenständer nickt zustimmend. Jetzt erkenne ich ihn. Das ist die vermoderte Alte aus dem vergammelten Haus unten an der Ecke. Die bekommt seit 200 Jahren Rente und hat den ganzen Tag nichts zu tun. Deswegen lungert sie hier herum und mimt die interessierte Zuhörerin. Aber es stimmt. Der Senkel ist lose. Bei den Latschen merkt man gar nicht, wenn der Knoten offen ist.

»Sind das etwa Springerstiefel?«

Was? Und wenn? Die sind bequem, rutschsicher, wasserdicht und halten ewig.

»Nein, das sind Arbeitsschuhe. Da sind Stahlkappen drin. Das sehe ich sofort. Mein Sohn hat auch solche Dinger. Warum auch immer.«

Außerdem kann man damit alten Schachteln, die einem mit ihrem Gewäsch auf den Keks gehen, wunderbar in den Allerwertesten treten. Gut, könnte man.

»Als er mir mit diesen Stiefeln das erstemal unter die Augen trat, ist mir was passiert! Ich hab doch gleich gesehen, daß der neue Schuhe anhat. Die waren geputzt. Also nicht geputzt, sondern noch sauber. Nicht so, wie bei dem jungen Mann hier. Der hat die heute früh frisch mit Schuhcreme eingeschmiert und blankpoliert. Das sehe ich sofort.«

Die Quasseltante zeigt auf meine Latschen und die Vogelscheuche nickt mir wohlwollend zu. Natürlich putze ich jeden früh meine Stiefel. Ich muß die jeden früh putzen. Das ist eine Zwangshandlung, eine Neurose die mich seit meinem Grundwehrdienst bei den bewaffneten Organen der DDR zuverlässig begleitet.

»Nicht, wie bei meinem Sohn. Der putzt sich ja nie die Schuhe. Der war auch nicht bei der Armee, wo er es hätte lernen können. Das war ja meine Hoffnung, daß man ihn dort zur Ordnung erzieht. Aber bei der Bundeswehr hatte man wohl andere Sorgen, als meinem Sohn etwas Vernünftiges beizubringen. So verlottert, wie sie ihn einberufen hatten, haben sie ihn auch wieder entlassen.«

Und vernünftig zu Saufen lernt man dort von ganz von allein.

»Der junge Mann hier war bestimmt bei der Armee, so schön wie der seine Stiefel geputzt hat.«

Sicher, ich war bei einer richtigen Armee und habe jeden Tag dort genossen. Beim Stiefelputzen.

»Nur, wie man sie sich ordentlich zubindet, muß er noch lernen.«

Klar, wir hatten nur Schaft- aber keine Schnürstiefel und im Kindergarten habe ich beim »Schleife binden lernen« gefehlt. Und zwar entschuldigt! Die Alte hat doch einen Treffer weg! So ein Knoten kann sich schon mal lösen. Egal, wie fest man den bindet.

»Also, ich sehe ja alles sofort. Mein Sohn kommt nun mit seinen neuen Schuhen und seiner Freundin aus dem Urlaub wieder. Die Freundin ist so eine blonde Superschlanke. Bei der habe ich immer Angst, daß sie vor Schwäche aus den Latschen kippt. Zu ihrer Jugendweihe muß die das letzte Mal etwas gegessen haben. Genau so verhungert sieht die aus.«

Und im Alter wird sie dem Garderobenständer gleichen. Die hat vor dem Krieg das letzte Mal gespeist. Seit dem gab es nur Flüssignahrung. Nicht gerührt oder geschüttelt, aber auf Ex.

»Bißchen fülliger wirkte sie da aber. So um die Hüfte und im Gesicht.«

So expandieren alle Frauen. Genau in der Reihenfolge: Erst schwabbelt die Hüfte über die Hose, dann wird das Gesicht schwammig, der Arsch wird breit und die Oberarme flach, nur der Busen bleibt so mickrig, wie er ist.

»Das habe ich sofort gesehen. Ich dachte schon, daß die schwanger ist. Aber von meinem Sohn? Na, ich weiß nicht. Und wozu hat der Stahlkappen in seinen Schuhen? Na, und dann ist mir was rausgerutscht!«

Erzähle! Die Altkleidersammlung stirbt gleich vor Neugier. Oder an den vielen Neuigkeiten die es hier gerade gibt. Ach, egal ...

»Da sag ich ihr, so als Spaß: ›Paß auf, das du meinem Sohni nicht auf die Füße trittst. Die Stahlkappen in seinen Schuhen halten nur 200kg aus!‹ Oh Gott! Da hatte ich ja was gesagt! Rums! Da war die Tür zu und die Frau weg!«

Köstlich. Die Frau ist rausgerannt, um zu kotzen. Das konnte sie aber nicht, weil sie nichts gegessen hatte.

»So ein Theater! Nur weil die im Urlaub 1kg zugenommen hat? 1kg? Das ist doch gar nichts!«

Bei dir sicherlich. Da fallen 20kg mehr oder weniger nicht ins Gewicht.

»Mein Sohn war den Tränen nahe! Angefleht hat der mich, damit ich sie um Entschuldigung bitte!«

So ein Weichei! Naja, Bundeswehr. Was will man da erwarten? Höchstens ungeputzte Stiefel.

»Gut, da habe ich eben um Verzeihung gebeten. Mit Blumen. Fresien. Die waren im Angebot. Beinahe hätte ich der noch eine Bonboniere geschenkt. Naja, egal. Regnet das eigentlich immer noch?«

Der Garderobenständer und ich schauen aus dem Fenster. Es regnet. Immer noch.

»Junger Mann? Meinen sie nicht auch, daß sie etwas zu luftig für dieses Wetter angezogen sind? Bei dem Regen ohne Jacke? Nicht, daß sie sich erkälten!«

Die spinnt doch! Junger Mann! Theoretisch könnte ich einen schulpflichtigen Enkel dabeihaben. Wobei eigentlich? Warum bin ich hier? Die macht einen ganz meschugge. Außerdem wohne ich gegenüber. Für einmal über die Straße flitzen brauche ich keine Jacke.

»Das nächste Mal ziehen sie sich aber etwas über! Sie hätten wenigstens an einen Schirm denken können!«

Zum Abwehren von bösen Geistern oder was? Hätte ich geahnt, daß mich hier eine Gespensterbahn erwartet ... Aber »Denken« heißt auch Erinnern. Was wollte ich hier?

»So, was bekommen sie denn nun?«

Schuhcreme. Nein! Ein Mischbrot und fünf Semmeln.

»Aber junger Mann! Das hätte ich nun nicht von ihnen gedacht. Sie sehen nicht aus, als könnten sie keine ganzen Sätze bilden. Bei meinem Sohn, ja, da hätte ich nichts anderes erwartet. Der war ...«

... ja auch nur beim Bund, ich weiß. Dann eben im ganzen Satz. Das ist jetzt auch egal. Hauptsache sie hält jetzt endlich ihre Klappe und gibt mir meine Brötchen.

»Sehr schön. Es klappt doch, wenn man sich etwas Mühe gibt. Wollen sie dazu eine Tüte oder geht das so?«

Es geht ohne. Ohne Tüte und Gelaber. Ich bin eh am Ende meiner Kraft. Dieses pädagogisch wertvolle Gesabber konnte ich noch nie lange ertragen. Wenn ich wieder zu Hause bin, werde ich erstmal meine Schuhe putzen, um mich wieder zu beruhigen. Manche gehen duschen, wenn sie sich angepißt und schmutzig fühlen und ich poliere eben meine Latschen.

»Das geht doch nicht so. Nehmen sie mal lieber eine Plastetüte mit. Nicht, daß wieder ihr Schuh aufgeht und sie dann stürzen. Bei dem Regen wird sonst das Brot auch so naß, da müssen sie nicht erst hinfallen.«

Aaaaarrrghhhhhhh

4 Kommentare:

  1. Das kenne ich auch: ältere Mitbürgerinnen, die nach dem Motto »Zieh dir was an, Junge, du erkältest dich sonst!« schon kurz nach dem Hochsommer um des Knaben Restgesundheit besorgt sind. Denkt man sich immer, was anderes, als man anschließend antwortet und kann sich bei einer tatsächlich darauffolgenden Erkältung immer noch darauf rausreden, dass es a) Rock´n´Roll sei und b) einen das dank des jungen Alters ohnehin nicht weiter anhebt, was man am besten durch lässiges Anzünden einer Fluppe unterstreicht, was den erneuten Schutzreflex »Junge, du hast doch gerade erst ausgemacht!« hervorruft.

    Was die Schnürsenkel angeht, ist das auch so ne Sache. Habe momentan gerade in paar von diesen Sicherheitstretern am Hals, zum Glück gehen die so langsam kaputt, die haben runde, glatte Schnürsenkel - keine Chance, die ernsthaft in Schach zu halten. Trotz ausgefeilter Knoten, die nur noch die ältesten Matrosen der ruhm- und siegreichen tschechischen Marine unter ihresgleichen weitergeben, gehen die Scheissdinger immer wieder auf.

    Anders als die Reeboks Of Darkness. Einmal leicht geflochten, halten die Mächte der Finsternis deren Senkel zusammen und man gleitet extrem dark durch die Gegend. Kann ich nur empfehlen. ;o)

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  2. Wenn man sich hierzulande Arbeits- oder eben Sicherheitsschuhe kauft, muß man sofort die Schnürsenkel austauschen. Das kann ich nur bestätigen. An die Dinger kann man sicher zwei Elefanten hängen. Das halten die locker aus. Aber einen festen Knoten der eine Weile hält bekommt man einfach nicht hin. Unglaublich. Und die Schnürsenkel, die man in der Kaufhalle bekommt, halten zwar aber eben nicht lange. Zweimal naß geworden und die Dinger reißen. Ich hätte nie gedacht, daß es für den Kapitalismus so problematisch ist, ein paar vernünftige Senkel herzustellen.

    Und die Omas färben ab. Ich muß mich jedesmal arg zusammenreißen, um nicht meiner Tochter wertvolle Tipps zugeben. Nur der Kobold wird regelmäßig belehrt. Aber der kann das ertragen. Der ist noch jung und belastbar. *g*

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  3. Der Kobold würde zum Klettverschluß raten. Und der baut die bestimmt auch noch eine Schuhanziehmaschine dazu.

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  4. Eine, mit der man auch telefonieren und Schokolade machen kann. Das kann der Zauberzwerg.

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